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Gut lernen: „Unsere Einstellung hat einen starken Effekt auf unsere Leistung“

27.06.2022

Lernen so gestalten, dass das Erlernte haften bleibt: Lernforscherin Sarah Hofer im Interview.

Glasfassade des Historicums am Abend.

Blick in die Bibliothek, Historicum LMU | © LMU

Warum es sich lohnen kann, mal anders zu lernen, und was für einen Unterschied es macht, ob man etwas nur möglichst exakt wiedergibt oder tatsächlich durchdacht hat: Interview mit Sarah Hofer, seit April 2022 Professorin für Lehr-Lernforschung am Lehrstuhl für Empirische Pädagogik und Pädagogische Psychologie der LMU.

Sie forschen darüber, wie Lernprozesse individuell unterstützt werden können. Lernen Menschen so verschieden?

Sarah Hofer: Der Grundmechanismus beim Lernen funktioniert bei allen gleich: Neues Wissen muss Anknüpfungspunkte im eigenen bestehenden Wissensnetzwerk finden. Dann bleibt das neu Erlernte mit größerer Wahrscheinlichkeit erhalten.

Unterschiedlich von Mensch zu Mensch ist aber, wie diese Wissensnetzwerke aussehen, weil jeder andere Erfahrungen gemacht und zuvor anderes gelernt hat. Ob man zum Beispiel viel oder gar kein Vorwissen hat, beeinflusst stark, wie man neue Inhalte zu einem bestimmten Thema lernt. Menschen unterscheiden sich auch in ihren Fähigkeiten, Interessen und in ihrer Bereitschaft, wie sehr sie sich überhaupt mit einem Inhalt auseinandersetzen wollen. Auch die Aufmerksamkeitsspanne, ob man sich lang oder nur kurz konzentrieren kann, ist verschieden.

Diese Aspekte kann ich berücksichtigen, wenn ich mein eigenes Lernen plane oder als Lehrperson Unterricht gestalte, und so Lerngelegenheiten schaffen, die die Ressourcen der Lernenden optimal ausnutzen. Das ist die Idee von individualisiertem Lernen.

Richtig lernen

Gibt es bestimmte Lerntypen?

Klassische Lerntypen in dem Sinn, dass eine Person nur visuell lernt, eine andere haptisch oder auditiv, gibt es in dieser pauschalen Unterteilung nicht. Es gibt vielleicht Präferenzen, die durch die eigenen Erfahrungen, Vorlieben und Fähigkeiten bedingt sind. Das sollte aber kein Grund dafür sein, nur so und nicht anders zu lernen, weil einem sonst Aspekte des Lernstoffs womöglich entgehen. Es führt also genau in die falsche Richtung, in Lerntypen zu denken.

Eher sollte jede und jeder versuchen, die Lerninhalte möglichst breit zu verstehen und auf verschiedene Arten, über verschiedene Zugänge zu erfassen.

Wie sehr prägt das Lernen in der Schule das spätere Lernverhalten?

Auch Lernen ist etwas, das wir lernen. Natürlich ist es stark geprägt von den Erfahrungen in der Schule. Da heißt es oft nur: Lernt die Hefteinträge für die Prüfung. Dass Auswendiglernen nicht unbedingt eine nachhaltige Strategie ist, sagt einem keiner.

Warum ist das nicht effizient? Und wie ginge es besser?

Nur wenn man sich aktiv mit dem Lerninhalt auseinandersetzt, bleibt wirklich etwas hängen. Das ist natürlich mühsam. Es ist viel einfacher zu sagen: Ach, jetzt lese ich mir noch schnell den Text durch – das ist auch besser, als gar nichts zu machen. Aber es wäre wesentlich effektiver, den Text auf eine andere Art und Weise zu bearbeiten. Nämlich: sich dazu Fragen zu stellen, Bezüge zu anderen Inhalten herzustellen, zu versuchen, ihn zu visualisieren oder ihn mit einer Freundin zu diskutieren.

Allerdings zeigt sich in vielen Studien, dass eine aktive Auseinandersetzung mit dem Lernmaterial von Lernenden nicht als sonderlich attraktiv bewertet wird. Es ist in unserer Schul- und Universitätskultur auch gar nicht so fest verankert, dass es auch um das flexible Anwenden von Wissen geht und nicht nur um die Performance in der nächsten Prüfung. Wenn der Fokus aber auf dem tatsächlichen Verständnis liegt, wenn Inhalte immer wieder in unterschiedlichen Kontexten gebraucht, angewandt und verknüpft werden müssen, dann lernt man, sich anders mit den Lernmaterialien auseinanderzusetzen: tiefer und intensiver.

Geschlechtsvorurteile können zu einer negativen Spirale führen

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„Interessen wecken, unabhängig von Stereotypen“

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In der Schule lernen wir auch, was wir gut können und was weniger gut. Welche Rolle spielt das Bild, das wir selbst von uns haben, beim Lernen?

Das steht in einer reziproken Beziehung zu unserer tatsächlichen Leistung. Wenn wir etwas gut können, fühlen wir uns tendenziell, aber nicht zwangsläufig, auch gut dabei und kompetent. Unser Selbstkonzept beeinflusst wiederum unsere Leistung.

In meiner Forschung habe ich zum Beispiel die Auswirkung von Geschlechtsstereotypen im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich untersucht: Geschlechtsvorurteile können hier das Selbstkonzept von Mädchen und jungen Frauen – auch unabhängig von deren objektiver Leistungsfähigkeit – beeinträchtigen und zu einer negativen Spirale führen, weil dann in der Folge tatsächlich nicht so viel Engagement in diese Fächer gesteckt wird.

Wobei wir erst kürzlich in einer Studie festgestellt haben, dass die Vorstellung davon, ob die eigenen Fähigkeiten veränderbar sind oder nicht, noch wichtiger zu sein scheint. Es macht einen erheblichen Unterschied, ob man das Gefühl hat, wenn man etwas nicht kann, wird man es nie können, oder ob man glaubt, dass man immer besser werden kann. Diese Einstellung hat einen starken Effekt auf die Leistung.

Als Lehrperson kann man das beeinflussen, je nachdem, welche Botschaften man sendet. Es wirkt eben anders, ob man sagt: Du kannst das nicht. Oder ob man Feedback gibt, was der Schüler und die Schülerin noch üben können, und ihnen so eine Wachstumsperspektive vermittelt.

Tipps für gutes Lernen

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Digital Lernen: Aktiv werden, mitmachen, nachfragen

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Könnten Sie noch ein paar Tipps geben? Was bringt zum Beispiel das Markieren von Texten?

Es reicht nicht, in einem Text Passagen einfach nur zu markieren. Anders ist es, wenn ich fünf verschiedene Farben nehme und mir überlege, dass jede Farbe für ein bestimmtes Konzept steht, wonach ich dann aktiv im Text suche. Dadurch strukturiere ich die Inhalte und setze mich damit auseinander.

Oder wenn ich mir einen Text durchlese und nach jedem Abschnitt selbst die Frage stelle: Worum ging es da? Kann ich das mit meinen eigenen Worten zusammenfassen? Dann kann ich wirklich etwas lernen, da ich zahlreiche Anknüpfungspunkte für die neuen Inhalte schaffe und sie so breiter in mein Wissensnetzwerk eingebaut werden können.

Und wie sieht es beim Hören von Vorträgen aus?

Wenn man nur einem Vortrag zuhört, ohne weiter darüber nachzudenken, was da gesagt wird, dann geht ganz viel an einem vorbei und es bleibt wenig hängen. Besser ist es, sich Notizen zu machen und diese am besten so zu formulieren, dass sie auf die wesentlichen Punkte fokussieren.

Schule: Kinder mehr mit Blick darauf unterrichteen, welche Ressourcen sie mitbringen

Lässt sich denn über das richtige Lernen auch mehr Chancengleichheit erreichen?

Ich habe den Eindruck, dass es aktuell in der Lehr-Lernforschung selten um Kinder und Jugendliche mit weniger optimalen Ausgangsbedingungen geht. Dabei wären das die Kinder, die am meisten Unterstützung bräuchten. Der One-size-fits-all-Unterricht passt nicht allen. Kinder, die relativ leistungsstark sind, die gut selbstgesteuert lernen können und Unterstützung aus dem Umfeld erfahren, kommen damit zurecht, aber für andere kann es schwierig werden.

Ich würde mir wünschen, dass Kinder mehr mit Blick darauf unterrichtet werden, welche Ressourcen sie mitbringen, und man für Gruppen von Kindern mit ähnlichen Vorerfahrungen und Bedürfnissen den Unterricht entsprechend flexibel anpasst. Das könnte meiner Einschätzung nach definitiv zu mehr Chancengleichheit beitragen.

Sarah Hofer, Professorin für Lehr-Lernforschung am Lehrstuhl für Empirische Pädagogik und Pädagogische Psychologie der LMU

Sarah Hofer, seit April 2022 Professorin für Lehr-Lernforschung am Lehrstuhl für Empirische Pädagogik und Pädagogische Psychologie der LMU | © Astrid Eckert

Sarah Hofer ist Professorin für Lehr-Lernforschung am Lehrstuhl für Empirische Pädagogik und Pädagogische Psychologie. Sie forscht darüber, wie Lernsituationen an die individuellen Ressourcen und Bedürfnisse der Lernenden angepasst werden können. Dabei untersucht sie auch den Einsatz neuer Technologien im Unterricht.

Sarah Hofer hat an der LMU Psychologie studiert. Promoviert wurde sie an der ETH Zürich. Nach Forschungsaufenthalten an der TUM und der Universität der Bundeswehr München übernahm sie eine Professur an der ETH in Zürich. Seit April 2022 ist Sarah Hofer nun Professorin an der LMU.

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