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Interview zur Dürre: „Wir müssen lernen, mit weniger Wasser auszukommen“

25.07.2022

Eine außergewöhnliche Hitzewelle in Europa, derzeit 90 Prozent Niedrigwasser in Bayerns Flüssen: Deutschland wird sich infolge des Klimawandels an einen neuen Umgang mit Wasser gewöhnen müssen, sagt LMU-Geograph Ralf Ludwig.

Dürre in Norditialien: der Fluss Ticino ohne Wasser

Dürre in Norditalien

Der Ticino, ein Nebenfluss des Po, der von der Schweiz nach Italien fließt, führt bei Pavia kaum Wasser. | © IMAGO / NurPhoto / Mauro Ujetto

Ralf Ludwig ist Professor am Department für Geographie der LMU. Der Experte für Umweltmodellierung leitet ein Teilprojekt des neuen EU-Projekts ARSINOE. Ziel von ARSINOE ist es, in neun europäischen Modellregionen Strategien und Werkzeuge für mehr Klimaresilienz zu entwickeln und in möglichst konkrete Maßnahmen umzusetzen.

Im Interview spricht der LMU-Geograph über Hitze und Dürre in Europa infolge des Klimawandels.

Herr Ludwig, in Südeuropa herrscht seit Monaten eine extreme Trockenheit. In den Medien wird von der größten Dürre seit tausend Jahren gesprochen. Handelt es sich dabei um das berühmte Sommerloch oder um die Folgen des Klimawandels?

Ralf Ludwig: Tatsächlich sind momentan weite Teile Europas von einer außergewöhnlichen Hitzewelle und Trockenheit betroffen – vor allem Norditalien. Die Häufung und Intensität solcher Extreme macht eine Beteiligung des Klimawandels sehr wahrscheinlich. Aber es gibt natürlich nicht nur klimatische Gründe. Hinzu kommt ein steigender Wasserbedarf von Industrie, Landwirtschaft und den Haushalten. In jedem Fall haben wir es mit einer sehr bemerkenswerten Situation zu tun.

Klimawandel: mehr Hochwasser, mehr Trockenheit

Ab wann spricht man überhaupt von einer Dürre?

Das ist eine Frage der Perspektive. Wir unterscheiden zwischen meteorologischen Dürren, wenn Niederschläge über längere Zeit ausbleiben, hydrologischen Dürren, wenn Wasserstände in Flüssen und im Grundwasser deutlich sinken, und landwirtschaftlichen Dürren, wenn infolge von Trockenheit Ernteeinbußen auftreten. Aktuell verzeichnen wir an 90 Prozent der bayerischen Flusspegel Niedrigwasserstände – wir bewegen uns also ebenfalls auf eine umgreifende Dürre zu.

Neben Dürren nehmen auch Hochwasser, Sturzfluten und Starkregen zu. Wie passt das zusammen?

Dieses Argument wird von Gegnern des Klimawandels häufig und leider recht erfolgreich verwendet. Dabei ist das kein Widerspruch, im Gegenteil. Inzwischen verstehen wir immer besser, dass sich der Klimawandel nicht nur durch eine Verschiebung der Mittelwerte, sondern vor allem durch eine steigende Variabilität und somit durch eine Verschärfung und Häufung von Extremen äußert. Mehr Hochwasser und mehr Trockenheit in einer Region passen als Folge des Klimawandels also leider durchaus ins „Konzept“.

Produktion von Nahrungsmitteln muss sich anpassen

Welche Folgen hat das für die Nahrungssicherheit in Europa, aber auch speziell für ärmere Länder?

Das ist eine der Königsfragen. Gerade Norditalien ist eine wichtige Anbauregion in Europa. Die Ernteausfälle in der momentanen Größenordnung sind eine Belastung für die Nahrungssicherheit. Natürlich lässt sich noch umverteilen und zukaufen.

Wenn solche Regionen aber dauerhaft als verlässlicher Lieferant ausfallen, wird das natürlich auch überregional zu Umstellungen bei der Nahrungsmittelversorgung führen – also auch für den internationalen Markt.

Wird das auch bei uns Auswirkungen auf unsere Ernährung in der Zukunft haben?

Die Frage nach der Rentabilität von bestimmten Anbauprodukten wird sich häufen. Es ist zu erwarten, dass zahlreiche landwirtschaftliche Betriebe wegen der steigenden Wasserknappheit ihre Nahrungsmittelproduktion anpassen müssen – auch in Deutschland. Es sind aber auch andere Trends zu beobachten: So haben einige Betriebe in Bayern erst kürzlich auf sehr wasserbedürftige Pflanzen wie Zucchini oder Gurken umgestellt; Grund ist hier sicher eine derzeit mögliche Maximierung der Gewinne.

Das größte Konfliktpotenzial liegt in der Landwirtschaft

Der Klimawandel verursacht hohe volkswirtschaftliche Kosten. Laut einer neuen Untersuchung des Bundeswirtschaftsministeriums liegen diese bei 6,6 Milliarden Euro pro Jahr. Deutschland hat aber noch nicht einmal eine nationale Wasserstrategie. Woran könnte das liegen?

Es braucht viel zu oft konkrete und dramatische Ereignisse wie Waldbrände oder das Ahrtal-Hochwasser, damit das Thema im Bewusstsein von Gesellschaft und Politik bleibt. Selbst bei einem Antrag für ein EU-Forschungsprojekt mussten wir kürzlich erst einmal Überzeugungsarbeit leisten, warum der Klimawandel für Unterfranken ein echtes und akutes Problem ist. Trotz eindeutiger wissenschaftlicher Erkenntnisse, vielfältiger Bemühungen und Initiativen sind die politischen Entscheidungs- und technischen Umsetzungsprozesse zu langsam, hier fehlen noch wichtige Innovationen. Allerdings bekommen wir mittlerweile viel Unterstützung, auch und vor allem aus den bayerischen Ministerien; hier bin ich zuversichtlich.

Wo verlaufen die Konfliktlinien infolge der klimatischen Veränderungen?

Das größte Konfliktpotenzial liegt im Bereich der Landwirtschaft. Sie ist im globalen Vergleich mit 75 bis 90 Prozent der mit Abstand größte Süßwasserverbraucher. Ob im Falle von Wassereinsparungen und eventuell gar -rationierungen – die auch in Deutschland Realität werden können – zuerst die Landwirtschaft, Industrie oder Verbraucher verzichten müssen, ist eine hochpolitische Frage. In Bayern ziehen bei dieser Frage selbst Landwirte und Weinbauern in keiner Weise am selben Strang. Dies zeigt, dass wir integrierte Lösungen entwickeln müssen, die allen Akteuren in Zeiten wachsender Wasserunsicherheiten von Nutzen sein werden.

Mit weniger Wasser auskommen

Wie könnte eine Lösung aussehen?

Wir müssen lernen, mit weniger Wasser auszukommen. Dazu muss erstens die Politik notwendige Maßnahmen ergreifen. Zweitens müssen die bestehenden und aufkommenden Konflikte zwischen den wichtigen Akteuren aus Industrie, Landwirtschaft und Naturschutzbehörden in einem gemeinsamen Dialog gelöst werden. Und drittens braucht es neue und innovative strukturelle und naturbasierte Methoden und Maßnahmen, um krisenhafte Situationen zu vermeiden.

Unterfranken ist schon jetzt nicht mehr imstande, ausreichend Trinkwasser aus der eigenen Region zu beschaffen, und muss durch Fernwasserleitungen aus Südbayern unterstützt werden.

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Was kann Deutschland von den südeuropäischen Ländern lernen?

Auch dort wurde sehenden Auges in den nicht nachhaltigen Anbau investiert. Lernen könnte die Politik aus Südeuropa also vor allem auch, wie es nicht funktioniert und wie darauf reagiert wird. Wir sollten uns diese Kompetenz in Deutschland zunutze machen.

Ein weiteres Vorbild wäre Nordafrika, wo die Situation noch prekärer ist. Dort ist man mit dem zielgerichteten Umgang mit Wasser schon länger vertraut: Seit Jahrzehnten wird das Konzept des Integrierten Wasserressourcenmanagements in vielen Fallbeispielen erfolgreich umgesetzt.

Deren Erkenntnisse zeigen, dass wir als Gesellschaft aufkommende Probleme nicht nur provisorisch beheben sollten, sondern das Übel an der Wurzel packen und unseren Wasserbedarf reduzieren und ein gemeinsames Wassermanagement anstreben.

Drohen nach der Energiepreisexplosion bald höhere Wasserkosten?

Das glaube ich eher nicht. In den vergangenen Jahren waren die Wasserpreise stets stabil. Wenn ich Menschen frage, wie hoch ihre Wasserkosten sind, wissen das viele gar nicht, da die grundsätzliche Daseinsvorsorge gar nicht infrage gestellt wird; auch wenn die Preise bei uns im internationalen Vergleich bereits eher hoch sind. Das erkennt man auch daran, dass die Preise für Trinkwasser in Südbayern vergleichbar mit denen in Franken sind, obwohl dort ein wesentlich höherer Aufwand bei der Gewinnung betrieben werden muss.

Ich rechne eher mit Einsparungen und gegebenenfalls koordinierten Rationierungen als mit drastischen Preiserhöhungen. Wasserentnahmeentgelte könnten aber auch ein Mechanismus sein, regulierend auf den Verbrauch zu wirken.

Porträtaufnahme von Prof. Dr. Ralf Ludwig

Ralf Ludwig ist Professor am Department für Geographie der LMU. | © LMU

Können wir angesichts der Dürren noch mit einem guten Gewissen in den Urlaub nach Südeuropa fahren?

Das ist eine gute Frage. Statistiken belegen, dass Touristen mit Wasser deutlich verschwenderischer umgehen als Einheimische. Andererseits ist der Tourismus für die Volkswirtschaft in vielen südlichen Ländern deutlich einträglicher als die Landwirtschaft.

Aus Sicht der Umweltverträglichkeit sollte man seine Urlaube wirklich überdenken. Aber das sagt Ihnen jetzt einer, der selbst eine Reise nach Italien geplant hat.

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