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Karrieren anders denken

06.03.2023

Ingrid Hägele forscht zu der Frage, warum Frauen seltener in Führungspositionen arbeiten als Männer. „Frauen haben Lust auf Karriere, aber auf die Bedingungen kommt es an“, sagt die Ökonomin.

Dr. Ingrid Hägele

Ingrid Hägele

ist Assistant Professor an der Volkswirtschaftlichen Fakultät der LMU. | © Stephan Höck/LMU

Dr. Ingrid Hägele analysiert große Datenmengen von Unternehmen, um den Ursachen unterschiedlicher Karrieren auf die Spur zu kommen. Im Interview erläutert sie, was Frauen von Führungspositionen abhält und warum auch das Interesse von Männern daran schwindet.

Frau Hägele, als Antwort auf die Frage, warum es so wenige Frauen in Führungspositionen gibt, sagen Firmenbosse öfter: Wir hätten ja gern Chefinnen, aber wir finden keine Kandidatinnen. Sie befassen sich in Ihrer Forschung damit, was rund um die erste Beförderung passiert. Woran hakt es?

Ingrid Hägele: Meine Forschung zeigt, dass Frauen und Männer sich darin unterscheiden, wie Entscheidungen am Anfang der Karriere getroffen werden. Dabei geht es vor allem um die Karriereentwicklung innerhalb von Unternehmen. Es ist nicht der Fall, dass Frauen Unternehmen vermehrt verlassen als Männer.

Forschungsergebnisse zeigen, dass Frauen in ähnlichen Positionen mit ähnlicher Qualifikation weniger mobil sind als Männer. Sprich: Sie verlassen Unternehmen seltener. Ähnlich verhält es sich mit dem Eintritt in Unternehmen. Selbst in eher männerdominierten Industrieunternehmen gibt es in den unteren Ebenen oft einen Pool an weiblichen Talenten.

Und was passiert dann?

Wenn es um die ersten Beförderungen geht, treffen Frauen und Männer oft unterschiedliche Karriereentscheidungen.

Also ist was dran, wenn die Arbeitgeber sagen, dass viele Frauen einfach keine Karriere machen wollen?

Ich vergleiche das gern mit meiner Situation als Vegetarierin in München. Wenn Sie mich im Biergarten einen kleinen Kartoffelsalat essen sehen, liegt das nicht unbedingt daran, dass ich keinen Hunger habe. Oft gibt es keine Gerichte, die mich ansprechen. So ähnlich ist es mit den Frauen, die sich vielleicht unter den aktuellen Umständen gegen den nächsten Karriereschritt entscheiden.

Was genau schreckt die Frauen denn ab?

In den meisten Unternehmen bedeutet Karriere, Führungsverantwortung zu übernehmen. Am Anfang der Karriere füllt man vielleicht noch eine Expertenrolle aus oder ist als Projektleiterin tätig. Aber wenn es noch weiter nach oben gehen soll in die richtig gut bezahlten Jobs, muss man ein Team leiten. Und das spricht viele Frauen nicht an. In meinen Befragungen finde ich zum Beispiel, dass Frauen öfter als Männer den Anspruch haben, als Chefinnen alle im Team weiterzuentwickeln und auf jeden Einzelnen einzugehen. Viele wägen für sich ab, dass ihnen die Karriere diesen Kraftakt nicht wert ist.

Es ist also nicht generell eine Frage von fehlendem Ehrgeiz.

Definitiv nicht. Tatsächlich sind viele der Frauen, die Führungsverantwortung nicht anspricht, sehr gut ausgebildet und streben oft auch mehr Herausforderungen an. Frauen haben Lust auf Karriere, aber auf die Bedingungen kommt es an. Führen wollen viele nicht.

Und die Männer schon?

Umfragen zeigen, dass auch viele Männer heutzutage keine große Lust auf Führungsverantwortung haben. Sie wägen nur anders ab als die Frauen und entschließen sich öfter, dann doch den Schritt zu gehen.

Was können Arbeitgeber tun, um Führungspositionen für Frauen erstrebenswerter zu machen?

Meine Forschungsergebnisse zeigen, dass mehr Informationen hilfreich sein können. Stellenausschreibungen könnten zum Beispiel Hinweise enthalten, wie groß das zu leitende Team ist oder wie lange es schon zusammenarbeitet. Dieses Wissen wäre hilfreich, um eine Vorstellung zu haben, worauf man sich einlässt. Frauen geben oft auch an, dass Mentoring hilfreich wäre, um nicht so sehr ins kalte Wasser geworfen zu werden. Dabei könnten sie von erfahrenen Führungskräften zum Beispiel lernen, wie man delegiert oder Konflikte im Team löst.

Warum ist es denn aus Sicht der Unternehmen sinnvoll, diesen Aufwand zu betreiben, um mehr Frauen anzusprechen?

Unabhängig davon, ob man Diversity-Ziele als wichtig ansieht, haben diese Geschlechterunterschiede wichtige Auswirkungen auf Besetzungsprozesse in Unternehmen. Viele Unternehmen suchen gerade händeringend nach guten Leuten. Auf viele ausgeschriebene Stellen gibt es wenige Bewerber. Würde es Unternehmen gelingen, mehr Frauen anzusprechen, wäre der Pool an potenziellen Kandidatinnen und Kandidaten größer – und es wäre einfacher, Stellen zu besetzen.

Würde sich dann auch der Gender Pay Gap schließen, die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen?

Tatsächlich lässt sich ein Großteil des Gender Pay Gap über unterschiedliche Positionen erklären, also auch darüber, ob jemand Führungsverantwortung hat oder nicht. Wenn man es schafft, den Frauenanteil in Führungspositionen zu erhöhen, dann würde das auch die ungleiche Bezahlung zwischen Frauen und Männern erheblich reduzieren.

Welche Rolle für den Gender Leadership Gap spielt die Tatsache, dass viele Frauen irgendwann Mutter werden und für eine Weile im Job pausieren?

Natürlich haben Frauen mit Kindern meist noch mehr Herausforderungen zu bewältigen als Frauen ohne Kinder. Und tatsächlich sehe ich in meiner Forschung, dass die Geschlechterunterschiede in Bezug auf Führung in der Gegenwart von Kindern größer sind. Aber: Der Unterschied, wie Frauen und Männer Karriereentscheidungen treffen, tritt auch bei Menschen ohne Kinder auf.

Karriere ohne Führungsaufgaben

Wir haben jetzt viel darüber gesprochen, dass Frauen, aber vermehrt auch Männer, keine Lust auf Führungsverantwortung haben. Müsste man Karriere dann nicht völlig neu denken und losgelöst betrachten von Führung?

Das ist auf jeden Fall ein heißes Thema. Gerade im IT-Bereich, etwa im Silicon Valley, weigern sich immer mehr Menschen, einen höheren Posten anzunehmen, weil sie sagen: Ich will programmieren und nicht Urlaubsanträge bearbeiten und immer erreichbar sein. In immer mehr Unternehmen gibt es auch schon Expertenfunktionen, wo Karriere ohne Führung möglich ist. Doch bei den meisten Unternehmen gibt es diese Option nur für einen kleinen Teil der Mitarbeitenden.

Sie befassen sich in Ihrer Forschung auch mit dem Phänomen des „Talent Hoarding“. Was verbirgt sich dahinter?

Ein wichtiges Ziel in Unternehmen ist es, gute Mitarbeitende zu finden und zu fördern. Aber wenn gute Leute das Team verlassen, dann ist das zwar gut für das Unternehmen, aber nicht unbedingt für die Führungskraft. Im Gegenteil: Wenn man in Zeiten das Fachkräftemangels einen guten Softwareingenieur verliert, kann es schon mal passieren, dass man ein Jahr nach einer Nachfolgerin suchen muss. In der Volkswirtschaftslehre bezeichnen wir dieses Dilemma als Moral Hazard. Die Folge ist, dass Führungskräfte ihre besten Mitarbeitenden davon zu überzeugen versuchen, noch mal ein Jahr im Team dranzuhängen. Und das hat wiederum ganz große Auswirkungen auf die Karrierewege – vor allem von Frauen.

Inwiefern?

Sie reagieren anders auf die Signale, die ihnen die Führungskraft sendet. Bestärkt der Manager die Mitarbeiterin zum Beispiel nicht aktiv darin, sich auf einen höheren Posten zu bewerben, dann lassen Frauen das eher bleiben. Ihnen ist es wichtiger als Männern, ihre Führungskraft nicht vor den Kopf zu stoßen.

Wie lässt sich dieses Dilemma auflösen?

Unternehmen haben ja ein Interesse daran, dass gute Leute weiterentwickelt werden. Sie müssten also Anreize für ihre Führungskräfte schaffen, damit diese Talente ziehen lassen. Das kann zum Beispiel das Versprechen an die Teamleitung sein, dass sie dabei unterstützt wird, eine Nachfolgerin für die frei werdende Position zu finden. Manche Unternehmen beschäftigen auch eigene Talent-Broker, die nach Talenten Ausschau halten und die fehlenden Anreize der Führungskräfte abmildern.

Sie arbeiten sehr praxisnah und viel mit Unternehmen direkt zusammen. Haben Sie auch das Gefühl, mit Ihrer Forschung etwas anstoßen zu können in den Unternehmen?

Ja! Das ist für mich sehr spannend. Ich mache viele Umfragen, an denen teilweise zehntausend Menschen teilnehmen. Es ist für mich bestärkend, dass die Themen, zu denen ich forsche, auch in ihrem täglichen Berufsleben eine große Rolle spielen. Wenn ich dann beobachte, dass einige Unternehmen vermehrt auch auf den unteren Ebenen gezielt Frauen fördern, dann sehe ich: Da tut sich was.

Ingrid Hägele ist Assistant Professor an der Volkswirtschaftlichen Fakultät der LMU. Bevor sie 2022 an die LMU kam, erwarb sie ihren PhD an der UC Berkeley am Department of Economics. Ingrid Hägele studierte Wirtschaftswissenschaften in Tübingen und an der LMU.

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