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Mehr MINT wagen

01.03.2021

Nur durch die Forschung in sogenannten MINT-Fächern können Herausforderungen wie Klimawandel oder die Energiewende gemeistert werden. Aber noch immer wählen zu wenig Frauen eine MINT-Karriere. Die LMU kämpft erfolgreich dagegen an.

Wissenschaftlerin im Labor

© Jan Greune / LMU

Wie baut man eine Ionenquelle zusammen? Wie kreiert man seinen eigenen Raumduft? Und wie kommt überhaupt der Alkohol ins Bier? LMU-Doktorandin Yasemin Yoluç vom Department Chemie erklärt das und vieles mehr in ihrem Instagram-Kanal snazzyscienceblogger. Damit möchte die 26-Jährige insbesondere junge Menschen für MINT begeistern. Sie selbst interessierte sich schon als junges Mädchen sehr für Naturwissenschaften. „Auch wenn ich damals noch nicht alles begreifen und verstehen konnte, war es stets mein Ziel, allen Phänomenen wie Wettergeschehnissen oder der Wirkung von Medikamenten auf den Grund zu gehen“, erinnert sie sich. Daher möchte Yoluç die Arbeit im Labor mithilfe von Alltagsthemen anschaulicher darstellen – mit Erfolg. Viele Follower schreiben ihr, wie motivierend ihre Beiträge gewirkt hätten. „Das sind für mich die schönsten Momente, denn mein Ziel ist es zu beweisen, dass jeder schaffen kann, was er oder sie möchte, wenn man nur fleißig genug ist und am Ball bleibt.“

Eine MINT-Mitstreiterin ist Linh Nguyen von der Fakultät für Physik. Neben ihrer Doktorarbeit moderiert sie das ZDF-Jugendwissensmagazin „Princess of Science“. In der Sendung geht es um MINT im Alltag: Kann man ein Handy mit einem Würstchen bedienen? Wie kann Chemie helfen, damit ein Kuchen fluffig wird? Und wie macht Physik die Bananenflanke im Fußball krumm? Damit möchte Nguyen vor allem mit dem Vorurteil von der Männerdomäne Wissenschaft aufräumen und speziell junge Frauen für MINT begeistern. „Selbst wenn Mädchen das Zeug dafür haben, entscheiden sie sich trotzdem oft für ein anderes Fach“, sagt sie. Das liegt ihrer Meinung nach noch immer an der altmodischen Einstellung vieler Menschen, dass Frauen keine Ahnung von Technik haben. „Wir müssen endlich anfangen, geschlechterneutral zu denken“, fordert sie. Nguyen hat inzwischen viele junge Fans: „Ich habe sogar schon Autogramme gegeben“, sagt sie und lacht.

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Vorurteile gibt es aber nicht nur in der Schule, sondern auch während der Ausbildung und am Arbeitsplatz. „Um das Problem anzugehen, spielen sowohl weibliche als auch männliche Vorbilder eine wichtige Rolle für Schülerinnen und Schüler, Studierende und Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler“, ist Dr. Audine Laurian vom Meteorologischen Institut der LMU überzeugt.

Die Projektkoordinatorin im transregionalen Sonderforschungsbereich „Waves to Weather“ (W2W) hat daher acht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem MINT-Bereich interviewt, die sich alle mit mutigen Entscheidungen nicht von ihrem Traum haben abbringen lassen. Anschließend wurden die Interviews von verschiedenen Künstlern und Künstlerinnen für das Comic-Heft Doch! illustriert. Es soll Jungen und insbesondere Mädchen ermutigen, eine Karriere in den Naturwissenschaften anzustreben, und generell zu einer Änderung der Denkweise bei Frauen und Männern führen. Laurian will das Comicheft an Schulen, in Naturwissenschaftsmuseen und bei internationalen Konferenzen verteilen.

Von der Wirtschaft abgeworben

Selbstzweifel, Vorurteile und fehlende Rollenvorbilder führen auch zu einem MINT-Nachwuchsmangel an Hochschulen. Der Wissenschaftsrat (WR), das ranghöchste Gremium, das Bund und Länder in der Wissenschaftspolitik berät, spricht in seinem neusten Empfehlungspapier von einem „Alarmsignal“: In den letzten zehn Jahren konnte zum Beispiel der Anteil der Informatik-Studentinnen nur um fünf auf 21 Prozent gesteigert werden. Das liegt noch unter dem Frauenanteil in den Ingenieurwissenschaften von 24 Prozent. Noch niedriger war die Zunahme auf Ebene der Hochschullehrerinnen. Nur zwölf Prozent der Professuren sind von Frauen besetzt. Auch die Zahl der Promotionen hat in den letzten Jahren drastisch abgenommen. Waren es beim bisherigen Höchststand im Jahre 2015 rund 1.100 Doktorarbeiten, sind es 2018 nur 873 gewesen – darunter lediglich 141 von Frauen. WR-Vorsitzende Dorothea Wagner, die selbst Informatikerin ist, beklagt zusätzlich, dass immer mehr „High-Potentials“ vor Abschluss ihrer wissenschaftlichen Qualifikation an der Universität von der Industrie „weggekauft“ werden. Mit den „lukrativen Angeboten“ aus der Wirtschaft könne der öffentliche Forschungssektor nicht mithalten.

An der LMU ist die Situation an den MINT-Fakultäten zum Glück besser. Gerade an einem Top-Wirtschaftsstandort wie München buhlen aber natürlich viele Unternehmen mit den Hochschulen um talentierte Nachwuchskräfte. Auch der niedrige Frauenanteil in MINT-Studiengängen ist ein Problem. Allerdings konnte am Institut für Informatik im Gegensatz zum Bundestrend der Anteil weiblicher Promotionen kontinuierlich von 13 Prozent im Jahr 2015 auf 38 Prozent im Jahr 2020 mehr als verdoppelt werden. „Damit hat die LMU deutschlandweit einen der höchsten Frauenanteile in der Informatik“, versichert Professor Dirk Beyer, Inhaber des Lehrstuhls für Software and Computational Systems. Von den 110 Wissenschaftlichen Mitarbeitenden seien 29 Frauen, von den promovierten 18 Wissenschaftlichen Mitarbeitenden immerhin noch drei. Generell, aber insbesondere in der Bioinformatik, werden laut Beyer viele Doktorandinnen und Doktoranden vor Abschluss ihrer Promotion von der Industrie abgeworben, weil sie dort ein besseres Einkommen erzielen können.

LMU-Informatikerin Professor Claudia Linnhoff-Popien vom Lehrstuhl für Mobile und Verteilte Systeme engagiert sich seit vielen Jahren für mehr MINT-Nachwuchs. Sie wünscht sich frühzeitig eine bessere Förderung für diese Fächer an Schulen, also bevor der Studienwunsch getroffen wird – insbesondere für Mädchen. Oft würden die Schülerinnen und Schüler glauben, „ein Programmierer sitzt nur im Keller und programmiert, oder die Uni ist so schwer, das schaffe ich sowieso nicht, da gehe ich lieber an die Fachhochschule oder mache eine Berufsausbildung“, weiß Linnhoff-Popien aus persönlichen Gesprächen. Schulen müssten diesen „Schauergeschichten“ durch neue Formate mit viel Energie entgegenwirken und Partnerschaften mit den Universitäten entwickeln. So könnten beispielsweise erfolgreiche Studentinnen, Mitarbeiterinnen und Professorinnen im MINT-Bereich an Schulen geschickt werden, um von ihrem Lebensweg und ihrer spannenden Arbeit zu erzählen. Sie selbst kam zur Informatik, weil sie ab der 5. Klasse an Mathematikolympiaden teilnahm, die sie eine nach der anderen gewonnen hat.

Der Frauenanteil sinkt ab der Postdoc-Ebene

Der Dekan der Fakultät für Biologie an der LMU, Professor Dario Leister, kann sich nicht über zu wenig weiblichen Nachwuchs beklagen. „Unsere Studierendenzahlen explodieren seit Jahren“, versichert er. An der Fakultät liege der Frauenanteil bei Studierenden und Doktoranden bei über 50 Prozent. Problematisch wird es erst ab der Postdoc-Ebene – ein weit verbreitetes Phänomen. „Bei den Habilitationen verringert sich der Anteil der Frauen merklich“, sagt er. Lediglich 36 Prozent der Frauen habilitierten, der Anteil weiblicher Professoren liege bei 20 Prozent. Immerhin sind laut Leister 44 Prozent der Privatdozenten Frauen.

Um die Gleichstellung der Geschlechter weiter zu fördern, hat sich die Fakultät einiges einfallen lassen. Da zum Beispiel Frauen während der Schwangerschaft aus Sicherheitsgründen keine Experimente durchführen dürfen, hat die Graduiertenschule für Systemische Neurowissenschaften an der LMU dafür gesorgt, dass sie während dieser Zeit bei der Laborarbeit von Kolleginnen und Kollegen unterstützt werden. Gleiches gilt für Studierende, die wegen familiärer Verpflichtungen nicht forschen können. Innovative Ideen für mehr MINT-Nachwuchs hatte auch LMU-Biologe Dr. Andreas Brachmann, der bereits von der Bayerischen Staatsregierung mit dem Preis für gute Lehre ausgezeichnet wurde. Er hat vor knapp fünf Jahren gemeinsam mit dem Ministerialbeauftragten für die Gymnasien in Oberbayern-Ost, Thomas Rübig, die MINT-Jugendakademie „Youth Science Club“ ins Leben gerufen. Inzwischen ist auch der LMU-Physiker Dr. Arno Riffeser dabei. Dort können Schülerinnen und Schüler der 8. bis 10. Klasse freiwillig drei Jahre lang lernen, wie wissenschaftliches Arbeiten funktioniert, beispielsweise indem sie eigene Forschungsfragen stellen und dazu selber Experimente durchführen. Aktuell geht es – natürlich – um das Thema Virologie. „Fast alle bleiben bei der Stange, was für das Programm spricht“, freut sich Brachmann. Es soll bewusst keine Begabten-, sondern eine Motiviertenförderung sein. Durch die freiwillige Teilnahme seien die Schülerinnen und Schüler mit viel mehr Begeisterung bei der Sache als bei einer Pflichtveranstaltung, erzählt Brachmann.

Eine deutliche Steigerung bei den Promotionen gab es in den letzten zehn Jahren an der Fakultät für Physik der LMU. Zwar ist das Fach noch immer überwiegend eine „Männerdomäne“. Der Anteil weiblicher Promotionen konnte aber in den letzten zehn Jahren von rund 20 auf zirka 30 Prozent gesteigert werden. Damit nimmt die Fakultät bei der Gesamtzahl der Promotionen als auch bei der Frauenquote deutschlandweit einen Spitzenplatz ein. Woran das liegt? Bundesweit liegt der Anteil der Promovendinnen mit Migrationshintergrund höher als der der Promovenden. Möglicherweise haben also in den letzten Jahren verstärkt Frauen aus dem Ausland an der LMU-Fakultät promoviert.

Um die Zahlen weiter zu steigern, setzt die Fakultät auf den „Girls‘ Day“ und den „Physik Club“, an dem Post-Docs, Doktorandinnen und Studentinnen gemeinsam mit Schülerinnen der fünften und sechsten Klasse experimentieren. „In diesem Alter haben Mädchen noch ein natürliches Interesse an Experimenten“, weiß Dr. Cecilia Scorza, Koordinatorin für Öffentlichkeitsarbeit und Schulkontakte an der Fakultät. Zusätzlich würden Mädchen der zehnten bis elften Klasse mit einer Affinität für Physik individuell betreut. „Dadurch interessieren sich später viel mehr für ein Physikstudium.“

Zu wenig Unterrichtsstunden in MINT-Fächern

Die Fakultät für Chemie und Pharmazie muss sich mit ihren Zahlen ebenfalls nicht verstecken. Im Sommersemester 2020 lag der Anteil der Studentinnen bei 58, in diesem Wintersemester sogar bei über 60 Prozent. Die Zahl der Promovendinnen liegt bei 44 Prozent, die Zahl der Habilitandinnen knapp darüber. „Die Förderung in der Abschlussphase von Promotion oder Habilitation ermöglicht es besonders Frauen, ihre Karriere- und Familienplanung unter einen Hut zu bringen“, sagt Dr. Kristina Hock, zuständig für die Didaktik bei der Chemie an der LMU.

Als Maßnahmen dienen spezielle Förder- und Mentorenprogramme, beispielsweise das „Mentoring Retreat“ auf der Fraueninsel im Chiemsee oder Mentorentandems mit internen und externen Profis. Hock beklagt, dass der Anteil naturwissenschaftlicher Fächer auf dem Stundenplan der Gymnasien und damit auch der Anteil von Abiturienten im Fach Chemie entsprechend sinkt. Um das zu ändern, finden an der Fakultät unter anderem Schülerinfotage statt, die in Nicht-Corona-Zeiten bis zu 1.600 Schülerinnen und Schüler besuchen. Darüber hinaus gibt es Forschungspraktika und Schülerlabore, bei denen zum Beispiel umweltfreundliche Wunderkerzen entwickelt werden.

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Neben der Mathematik, wo an der LMU von 62 Mitarbeitenden im wissenschaftlichen Nachwuchs 16 Frauen sind, gehören auch Astronomie, Nanowissenschaften, Geologie oder Geographie zu den MIN T-Fächern. Auch am Department für Geographie an der LMU ist das Verhältnis von Frauen und Männern bei Studierenden und auf Postdoc-Ebene fast ausgeglichen, die Stipendiatinnen sind sogar in der Überzahl. Wieder einmal tritt jetzt die Schieflage erst bei den Professuren ein, wo der Frauenanteil aber immerhin bei 33 Prozent liegt. „Die Nachwuchswissenschaftlerinnen werden auf ihrem Karriereweg im Rahmen des Mentorenprogramms begleitet, in dem mindestens 50 Prozent der Mentees weiblich sind“, erklären Department-Direktorin Professor Julia Pongratz und die Frauenbeauftragte PD Dr. Monika Popp. Denn gerade für die Münchner Geographie mit ihrem Schwerpunkt auf Fragen einer nachhaltigen Entwicklung unter globalem Wandel sei es von zentraler Bedeutung, auf allen Hierarchieebenen paritätisch aufgestellt zu sein. Grund: „In zentralen Kernbereichen der Nachhaltigkeitsdebatte wie Klimaschutz, Ernährung, Mobilität, Energie oder Tourismus werden Entscheidungen von Frauen in Zukunftsfragen maßgeblich mitgestaltet beziehungsweise getroffen.“

Der Beitrag ist der MUM, dem Münchner UniMagazin, entnommen. Das Magazin gibt es auch kostenfrei im Abo.

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