„Viele Mitarbeiter wurden zuhause alleingelassen“
09.08.2021
Von den Herausforderungen des Remote-Arbeitens und der ersehnten Rückkehr ins Büro: ein Interview mit LMU-Forscher Martin Högl über Homeoffice.
09.08.2021
Von den Herausforderungen des Remote-Arbeitens und der ersehnten Rückkehr ins Büro: ein Interview mit LMU-Forscher Martin Högl über Homeoffice.
Professor Martin Högl ist Vorstand des Instituts für Leadership und Organisation an der Fakultät für Betriebswirtschaft der LMU. Im Interview spricht er über das Zusammenarbeiten auf Distanz und erklärt, warum manche Teams besser damit zurechtkommen als andere.
In der Coronapandemie sind in den vergangenen Monaten viele Teams ins Homeoffice gewechselt. Was sind die Herausforderungen des Remote-Arbeitens?
Martin Högl: Räumliche Distanz kann die Zusammenarbeit sehr behindern. Das hat eine ganze Reihe von Gründen. Zum einen liegt es daran, dass man sich nicht mehr zufällig begegnet, sei es auf dem Gang oder dem Weg zur Küche, und so die zufälligen Gespräche wegfallen. Auch die informellen Anlässe bei Pausen und gemeinsamen Mittagessen fehlen. Dazu kommt, dass Wissen umso intensiver ausgetauscht wird, je breiter die Kommunikationsmöglichkeiten sind. Dort, wo wir uns aufs Telefon oder auf Video beschränken müssen, sind wir ein Stück weit limitiert. Nichts ist so reichhaltig wie die persönliche, direkte Interaktion.
Sie arbeiten in Ihrer Forschung mit Unternehmen zusammen. Wie ist Ihr Eindruck, wie sich diese schwierigen Bedingungen des Zusammenarbeitens in den vergangenen Monaten im Arbeitsalltag ausgewirkt haben?
Martin Högl: Ich kann hier nicht aus einer systematischen Studienlage heraus, sondern nur von meinen Kontakten berichten. Mein Eindruck ist, dass die Wahrnehmung des Zusammenarbeitens wie die Pandemie selbst in Wellen vorangeschritten ist. Zunächst war man sehr euphorisch ob der Dinge, die da auf einmal möglich waren. Viele Unternehmen haben erkannt, dass es Spielräume gibt, die sie vorher gar nicht gesehen haben; sie haben sich erst infolge der Pandemie viel ernsthafter mit Fragen des Remote-Arbeitens beschäftigt.
Da standen also zunächst die Möglichkeiten mehr im Vordergrund als die Kosten, also als das, was die Zusammenarbeit behindert. Erst nach einer gewissen Zeit wurde klar, dass bestimmte Prozesse schlechter abgestimmt sind. Wie sich das jetzt einpendelt, ob man in die Zeit vor Corona zurückfällt oder versucht, beide Welten miteinander zu verbinden, da werden wir eine ganze Bandbreite an Modellen sehen. Und um das fundiert zu gestalten, ist es wohl viel zu früh, denn die nachhaltigen Effekte des Arbeitens über die Distanz sind noch gar nicht erfasst.
Während der Coronapandemie wurde ja nicht vom Büro aus gearbeitet, sondern von zuhause aus. Es gab eine hohe Diversität, wie die Arbeitsumgebung sich gestaltet hat. Das ist eine ganze neue Herausforderung für die Zusammenarbeit.Martin Högl
Was müsste man darüber untersuchen?
Martin Högl: Es ergeben sich eine ganze Reihe von Forschungsfragen, obwohl verteiltes Zusammenarbeiten an sich nichts Neues ist. Es gibt schon seit Langem Teams, die zugleich in Singapur, London, Shanghai und München sitzen. Wir wissen aus der Forschung, wie schwierig die Zusammenarbeit in geographisch verteilten Teams ist, insbesondere, wenn interkulturelle Diversität dazukommt; auch die Zeitzonen sind nicht zu unterschätzen.
Aber die Sachlage ist ganz anders, wenn der Arbeitskontext, in dem das Team steckt, nicht gleich ist. Denn während der Coronapandemie wurde ja nicht vom Büro aus gearbeitet, sondern von zuhause aus. Es gab eine hohe Diversität, wie die Arbeitsumgebung sich gestaltet hat. Das ist eine ganze neue Herausforderung für die Zusammenarbeit. Es macht einen Unterschied, ob man zuhause arbeitet und noch kleine Kinder da sind oder ob man sein Homeoffice als Single organisiert – das ist eine hohe Varianz der Set-ups, wohingegen Büros in Shanghai, Singapur oder Sidney von der Ausstattung und Arbeitsumgebung her vergleichbar sind.
Aus der Forschung wissen wir zum Beispiel, dass die Einteilung in verschiedene Lebensbereiche und auch das Wochenende ganz wichtig dafür sind, um wieder Kraft zu tanken. Diese Trennung zwischen dem beruflichen Sein und einer Zeit, die von dem ganz frei ist, ist natürlich viel schwieriger, wenn man von zuhause aus tätig ist, weil die Grenzen fließen, auch in den Tageszeiten.Martin Högl
Kann nicht genau das zu mehr Zufriedenheit führen, wenn man in seiner gewohnten Umgebung arbeitet?
Martin Högl: Ja, die Möglichkeit besteht. Aber aus Unternehmens- und Führungssicht müsste man noch mehr darüber wissen, wie man das Arbeiten in so einem Kontext zum Erfolg führt. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind mit sich recht alleine gelassen zuhause.
Aus der Forschung wissen wir zum Beispiel, dass die Einteilung in verschiedene Lebensbereiche und auch das Wochenende ganz wichtig dafür sind, um wieder Kraft zu tanken. Diese Trennung zwischen dem beruflichen Sein und einer Zeit, die von dem ganz frei ist, ist natürlich viel schwieriger, wenn man von zuhause aus tätig ist, weil die Grenzen fließen, auch in den Tageszeiten. Vielleicht ist es erst einmal praktikabel, wenn man morgens um halb sechs arbeiten kann, bevor die Kinder aufstehen. Aber ob das nachhaltig sinnvoll ist, ist eine andere Frage.
Welche Tücken hat das Remote-Arbeiten noch?
Martin Högl: Was man auch im Blick behalten muss: Mobiles Arbeiten heißt ja: egal wo. Wenn sich Unternehmen diesem Konzept zuwenden, auch um kurzfristig Kosten aufzulösen in Sachen Büromiete, dann kann das dazu führen, dass diese Jobs international stärker verteilt werden. Denn wenn jemand mobil aus Pullach arbeiten kann, warum dann nicht gleich aus Kairo? Für Unternehmen ist das wahrscheinlich vordergründig billiger.
Ich bin mir nicht sicher, ob alle solche Spätfolgen im Blick haben. Denn sicher ist niemandem daran gelegen, dass man über diese Möglichkeiten einem weiteren massiven Offshoring von Arbeitsplätzen Vorschub leistet – und dann später merkt, wie schwierig doch alles in der dauerhaften Umsetzung sein kann.
Je schwächer Zusammenarbeit und Führung vor Corona ausgeprägt waren, desto größer ist die Gefahr einer Spirale nach unten.Martin Högl
Wie haben Teams wohl bislang Corona und Homeoffice überstanden?
Martin Högl: Ich glaube, Teams, die schon länger sehr gut zusammenarbeiten und deren Führung sehr effektiv war, haben sich leichter getan. Sie können über so eine Phase schlittern, ohne Schaden davonzutragen. Vielleicht haben sie sogar durch die neue Erfahrung und das Aufgreifen der Vorteile – unbürokratischere Prozesse, mehr Flexibilität – gewonnen. Aber je schwächer Zusammenarbeit und Führung vor Corona ausgeprägt waren, desto größer ist die Gefahr einer Spirale nach unten. Ich glaube, die Schere zwischen den Teams wird auseinandergehen.
Was zeichnet denn Teams aus, die eine hohe Qualität der Zusammenarbeit haben?
Martin Högl: Zum einen die offene Kommunikation: Wird Wissen direkt miteinander geteilt? Zum zweiten die klare Koordination von Arbeitsaufgaben: Sind die Aufgaben klar verteilt und ist die Abstimmung zwischen den einzelnen Beiträgen hoch? Und schließlich der Teamgeist und die gegenseitige Unterstützung. Darüber hinaus gibt es noch weitere Indikatoren.
Ein entscheidender Faktor für effektives Führen ist es, die Perspektive der Mitarbeiter einzunehmen und verstehen zu können, was sie bewegt. Das ist natürlich leichter, wenn ich vor Ort im Büro eine hohe Interaktionsdichte habe.Martin Högl
Was bedeutet das Zusammenarbeiten über die Distanz für die Führungskräfte?
Martin Högl: Es ist spannend, wie Führungskräfte mit der Frage umgehen, wie sie Menschen führen, die nicht da sind und in sehr verschiedenen Zeittaktungen über den Tag hinaus unterwegs sind.
Wenn man unter effektivem Führen die Einflussnahme auf Mitarbeiter versteht, das zu tun, was zielführend getan werden muss, dann ist das über die Distanz schwieriger zu realisieren. Ein entscheidender Faktor für effektives Führen ist es, die Perspektive der Mitarbeiter einzunehmen und verstehen zu können, was sie bewegt. Das ist natürlich leichter, wenn ich vor Ort im Büro eine hohe Interaktionsdichte habe. Auch da ist persönliche Nähe der Goldstandard.
Gibt es eigentlich mehr gut oder mehr schlecht geführte Teams?
Martin Högl: Das lässt sich kaum beantworten, weil es davon abhängt, wo ich den Strich ziehe zwischen gut und schlecht. Aber eines kann man aus der Forschung sagen: Je höher die geographische Verteilung der Teams, desto höher ist der Anteil der schwächeren Teamleistungen.
Wie sind Sie selbst mit Ihrem Team durch die Coronapandemie gekommen?
Martin Högl: Ich spüre schon, dass sich die Pandemie nicht positiv auswirkt auf die Zusammenarbeit im Institut. Und jetzt würde ich meinen, dass wir zuvor schon gut aufgestellt waren als Team. Aber ich könnte mitnichten behaupten, dass uns die Pandemie in irgendeiner Weise unterstützt hätte, besser zu werden.
Sie freuen sich also darauf, wenn wieder mehr Ihrer Teammitglieder ins Büro kommen?
Martin Högl: Ich glaube, wir freuen uns alle darauf, wenn wir wieder mehr Nähe zueinander haben – und ich denke, dass es für uns alle eine Erleichterung bedeutet, wenn man wieder vor Ort zusammenarbeiten kann.