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Wer sind die Meinungsmacher?

29.01.2024

Kommunikationsforscher Carsten Reinemann untersucht, wie sich Menschen eine Meinung bilden und was YouTube, TikTok & Co. daran geändert haben.

Herr Professor Reinemann, um was geht es bei Ihrem aktuellen Forschungsprojekt zur Messung von Meinungsmacht und Konzentrationskontrolle im Internet?

Carsten Reinemann: Hintergrund des Projekts sind regulatorische Fragen im deutschen Medienbereich. Bisher lag der Fokus aufgrund seiner angenommenen Meinungsmacht vor allem auf dem Fernsehen. Mit dem Aufkommen des Internets und Social Media, hat sich das Spektrum der Akteure, Quellen und Kanäle, die Einfluss auf die Meinungsbildung nehmen, jedoch erheblich erweitert.

Früher gab es quasi ein Monopol der traditionellen Medien, insbesondere im journalistischen Bereich. Dieses Monopol wird nun aufgebrochen, was positive als auch problematische Aspekte hat. Einerseits kann man von einer Demokratisierung der öffentlichen Kommunikation sprechen. Andererseits gibt es Herausforderungen wie Desinformation, Fehlinformation und Hassrede. Die Frage, die wir uns im Rahmen des Projekts stellen, ist, wie und durch wen Meinungsmacht in diesen neuen Kanälen ausgeübt wird. Wir wollen verstehen, wie viele Menschen von Medien, denen sie vertrauen, erreicht werden und wie diese Medien letztendlich auf die Menschen wirken.

Wie lässt sich ein abstraktes Konzept wie Meinungsmacht überhaupt quantifizieren?

Aus sozialwissenschaftlicher Sicht gibt es verschiedene Ansätze. Ein einfacher Indikator ist die Reichweite eines Mediums. Ebenfalls ein wichtiger Faktor ist das Vertrauen, das ein Medium genießt, insbesondere wenn es von vielen Menschen exklusiv für Informationen genutzt wird. In der Praxis wird aber oft nur der Marktanteil betrachtet. Im Fall von Fernsehsendern zum Beispiel basierend auf der Sehdauer. Dieser Indikator ist allerdings anfällig für Verzerrungen durch extrem intensive Nutzer. Am validesten aber ist es natürlich, wenn man die tatsächlichen Wirkungen einzelner Medien misst, aber das ist ziemlich aufwändig, wenn man es kontinuierlich machen möchte.

Professor Carsten Reinemann

Statt Radio und Fernsehen dienen der jüngeren Generation heute YouTube, Instagram und TikTok zur Meinungsbildung.

© LMU

Welchen Ansatz verfolgen Sie also?

Wir schlagen ein kontinuierliches Monitoring von Meinungsmacht vor, das modular aufgebaut wäre und ein Mehr-Methoden-Design umfasst. Das erste Ziel ist, die Perspektive der Nutzer zu verstehen. Wir fragen: Welche Medien nutzen Sie und welchen Quellen vertrauen Sie? Dabei ist es wichtig, offen zu sein und auch die Nutzung obskurer oder weniger bekannter Quellen zu erfassen. Die Qualität der Quelle ist zweitrangig. Unser Vorschlag ist, durch eine Kombination verschiedener Fragen und Methoden herauszufinden, welche Inhalte tatsächlich genutzt werden.

Wir setzen dabei auf die Kombination von klassischen Befragungen und einem Tracking des Online-Informationsverhaltens. Darauf aufbauend könnten weitere Teil-Studien die Medieninhalte und tatsächliche Wirkungen von Medien untersuchen sowie beispielsweise die Resonanz von Medien in Social Media oder ihre Wirkungen auf die Politik und andere Medien in den Blick nehmen. Unser Ansatz muss nicht unbedingt direkt zu regulatorischen Eingriffen führen sondern kann auch erstmal dazu dienen, gesellschaftliche Transparenz über die genutzten Medien zu verbessern und zu stärken.

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Durch die schiere Menge an Content auf YouTube, Instagram und Tiktok ist es gar nicht so leicht zu entscheiden, welche Kanäle Vertrauen verdient haben. Wie steht es um die Medienkompetenz in Deutschland?

Die ist definitiv ausbaufähig. Es gibt zwar beispielsweise Vorschläge, Medienkompetenz als Schulfach einzuführen, doch Schulen sind oft nicht in der Lage, dies so umzusetzen, wie es wünschenswert wäre. Die Mehrzahl der Lehrkräfte haben in ihrer Ausbildung einfach nicht das nötige Rüstzeug erhalten. Häufig werden solche Programme dann von externen Anbietern durchgeführt oder es gibt Initiativen, die eher symbolischer Natur sind, wie zum Beispiel der 'Medienführerschein' in Bayern, dessen Wirksamkeit nicht evaluiert wird. Wir dürfen uns aber auch nicht der Illusion hingeben, dass Medienkompetenz alle Probleme löst.

Es geht nicht nur um technische Fähigkeiten, sondern ebenso um Vertrauensaufbau und demokratische Werte. Auch Extremisten sind oft sehr medienkompetent. In einer Studie zur Frage, wie junge Menschen mit Extremismus in Kontakt kommen, haben wir deswegen die Notwendigkeit betont, Medienkompetenz und Demokratieerziehung miteinander zu verknüpfen.

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Wie stark greifen bereits jetzt Desinformationskampagnen im Netz um sich?

Wenn man die letzten Jahre betrachtet, fallen Ereignisse wie die Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg und der Israel-Gaza-Konflikt ins Auge. Hier sieht man, dass sowohl staatliche Akteure von außerhalb Deutschlands als auch Akteure innerhalb des Landes versuchen, ihre Perspektive auf Konflikte nicht nur mit gut abgesicherten Informationen, sondern auch durch polarisierende Desinformation zu verbreiten. Dies geschieht oft durch die Verbreitung von Ängsten oder das Diskreditieren traditioneller Medien und politischer Akteure mittels Fehlinformationen.

Ein weiteres Problem ist, dass solche Desinformationen oft innerhalb bestimmter Gruppen kursieren und dort als Fehlinformationen bestehen bleiben. Mit der Entwicklung von KI entstehen neue Herausforderungen. Erst kürzlich gab es Fälle, in denen mit KI erzeugte Stimmen von Tagesschausprechern in gefälschten Videos auftauchten, in denen sie sich für ihre Berichterstattung entschuldigen. Solche Technologien werden immer ausgefeilter und das macht es sehr schwierig, effektiv gegen solche Desinformationskampagnen vorzugehen.

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Ist es zwangsläufig so, dass jüngere Menschen anfälliger für Falschinformationen sind, weil sie sich mehr in den sozialen Medien aufhalten?

Studien, auch aus anderen Ländern, deuten darauf hin, dass die Anfälligkeit für Desinformationen nicht unbedingt eine Frage des Alters ist, sondern dass das Problem in der Art und Weise liegt, wie Menschen das Internet nutzen. Junge Menschen, die sich nicht für politische Themen interessieren, sind möglicherweise weniger der Desinformationsflut ausgesetzt als diejenigen, die ein starkes Interesse haben und bereits vorgeprägte Meinungen besitzen.

In Kombination mit den Algorithmen der Plattformen, kann dies zur Bildung von Informationsblasen führen, in denen das eigene Weltbild bestätigt wird. Gerade auch ältere Zielgruppen, die das Netz in den letzten Jahren, verstärkt während der Corona-Pandemie, zu nutzen gelernt haben, sind anfällig.

Im Internet kann jede und jeder zum Meinungsmacher werden. Was bedeutet das für Ihre Untersuchung und die damit verbundene Diffusion von Meinungsmacht?

In dieser Hinsicht gibt es mehrere Faktoren, die wir berücksichtigen müssen. Zunächst gibt es nicht-journalistische Akteure, sogenannte alternative Medienakteure. Hinzu kommen dann noch die Plattformen selbst, die keinen eigenen Inhalt produzieren, aber durch ihre Algorithmen eine gesteuerte Selektion und Präsentation von Inhalten vornehmen. Sie üben somit an einem bestimmten Punkt im Kommunikationsprozess auch Meinungsmacht aus. Ein zusätzliches Problem ist, dass wir oft nicht genau wissen, was hinter den Kulissen passiert. Es fehlen bisher die Daten, um konkret zeigen zu können, wie diese Algorithmen wirken und welcher Content letztendlich für den individuellen Nutzer ausgewählt und präsentiert wird.

Wie transparent sind denn die Plattformen in dieser Hinsicht?

Bislang sind sie überhaupt nicht transparent. Lange Zeit wurde aus der Forschung heraus kritisiert, dass Plattformen, wie Meta oder Google, keine Daten bereitstellen. Es gab zwar Initiativen von großen Plattformen, die Wissenschaftler einbezogen, aber es stellten sich enorme Probleme hinsichtlich der Bereitwilligkeit dar, tatsächlich relevante Daten freizugeben.

Mit dem Digital Service Act der EU stehen wir jetzt jedoch vor der Möglichkeit, Zugang zu relevanten Daten zu erhalten. Wissenschaftler können nun an die EU-Kommission herantreten und spezifizieren, welche Art von Daten benötigt werden. Es bleibt spannend zu beobachten, wie sich das in der Forschungspraxis entwickelt und wie kooperativ die Unternehmen sein werden. Es gibt zwar Methoden, um von außen einen Eindruck zu gewinnen, wie sich bestimmte Suchanfragen auswirken oder welche Inhalte man erhält, wenn man künstliche Profile in sozialen Netzwerken erstellt. Aber um eine fundierte Analyse durchführen zu können, ist der interne Zugang zu den Daten unerlässlich.

Sie hatten zuvor erwähnt, dass Ihr Projekt einen regulatorischen Ansatz verfolgt. Welche Empfehlung geben Sie hinsichtlich der Regulierung von Meinungsmacht?

Wir arbeiten an einem Konzept, das sich vom bisherigen Ansatz unterscheidet. Die derzeitige Konzentrationskontrolle im Medienbereich ist zu einfach gestrickt und hauptsächlich auf das Fernsehen fokussiert, was der heutigen Medienrealität, insbesondere bei jüngeren Generationen, nicht mehr entspricht.Wir plädieren dafür, das gesamte Medienspektrum zu betrachten und zu analysieren, wo Meinungsmacht entsteht.

Es ist wichtig, als Gesellschaft zu wissen, wo die mächtigen Medien sind. Unser Vorschlag ist daher, von einer starren Regelung, die Eingriffe ab einem bestimmten Schwellenwert an konzentrierter Meinungsmacht ermöglicht, zu einem reinen Monitoring-System überzugehen, das gesellschaftliche Transparenz schafft. Obwohl Regulierungsbehörden Verständnis zeigen, sind sie aufgrund historischer Erfahrungen sehr zurückhaltend, sich Eingriffsmöglichkeiten zu nehmen. Ein Mittelweg ist wahrscheinlich erforderlich, aber die aktuelle Situation muss sich definitiv ändern.

Carsten Reinemann ist Professor für Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt politische Kommunikation. Im Rahmen des vom Bayerischen Forschungsinstitut für Digitale Transformation (bidt) geförderten Projekts widmet er sich der Frage, wie eine zeitgemäße Messung und Regulierung von Meinungsmacht im Internet aussehen kann.

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