LMU liest
01.08.2022
Empfehlungen für die Sommerlektüre von Forschenden und Studierenden der LMU
01.08.2022
Empfehlungen für die Sommerlektüre von Forschenden und Studierenden der LMU
Dicke Schmöker und aberwitzige Geschichten, aber auch Literatur über den Ursprung der Menschheit und den Weg zum stressfreien Arbeiten: Bei den folgenden Lesetipps ist bestimmt für jede Leserin und jeden Leser eine passende Sommerlektüre dabei.
„Den einen Lesetipp zu geben, ist mir als Literaturwissenschaftler wesensfremd. Aber gut, lasse ich mich auf dieses Spiel ein, denke zurück an die wunderbaren Anfänge meiner Lesebiografie als Teenager unterm Schattenbaum im Garten. Das Buch muss ein Schmöker sein, spannend, bunt, exotisch – und vor allem dick.
Fast 1500 Seiten in der ungekürzten deutschen Taschenbuchausgabe – das ist gut. Die Rede ist von: Der Graf von Monte Christo von Alexandre Dumas, erschienen in Fortsetzungen zwischen 1844 und 1846 (sozusagen eine Nr.1-Netflix-Serie vor Netflix). Der Roman ist ein Unterhaltungs-, ein Abenteuer-, ein historischer, ein Gesellschaftsroman – vor allem aber eine grandiose Rache-Geschichte (gleichwertig mit Kill Bill).
Der aufstrebende Seeoffizier Edmond Dantès hat eine glückliche Zukunft vor sich: Er kann Kapitän werden und die bezaubernde Mercedes heiraten, doch eine Intrige übler Gestalten wirft ihn für immer in ein Verlies auf einer düsteren Gefängnisinsel. Er kann sich befreien und nimmt einen ungeheuren Schatz, von dem sein Mitgefangener ihm erzählt, in Besitz. Sein Weg führt ihn vom wildromantischen Verbrechermilieu in Italien zur High Society in Paris. Er verwandelt sich in den geheimnisvollen Grafen von Monte Christo, sein Reichtum ist (fast) unermesslich und seine Rache – ein tolles Lesevergnügen – ist (fast) gnadenlos.“
Prof. Dr. Oliver Jahraus ist Vizepräsident für den Bereich Studium und Inhaber des Lehrstuhls für Neuere deutsche Literatur und Medien.
Alexandre Dumas: Der Graf von Monte Christo
Empfohlen von Professor Oliver Jahraus
„Ebenso aufschlussreich wie provokativ, ist dieses Buch ein Muss für alle, die sich bemühen, die Lebenswelt von Menschen zu verstehen, die gefährlichen Ideologien anhängen. Management of Hate basiert auf den Beobachtungen des Autors Nitzan Shoshan von Jugendlichen in Ost-Berlin, die sich die Ideen eines rassistischen Nationalismus zu eigen gemacht haben, die auch geprägt sind von einem nostalgischen Blick zurück in die Nazivergangenheit Deutschlands.
Der Autor analysiert nicht nur die Äußerungen der Jugendlichen; er berichtet auch von der Zeit, die er mit ihnen zusammen verbracht hat, um ihre Welt zu verstehen. Das Buch stellt zugleich die Frage, wie Staat und Gesellschaft mit extremistischen Jugendlichen umgehen und versuchen, das Phänomen zu ‚managen‘.
Management of Hate ist zugleich fein beobachtete Ethnographie und langfristig angelegte Feldarbeit, die wertvolle Einblicke in drängende Herausforderungen unserer Zeit ermöglicht. Es zeigt, wie sehr sich qualitative Forschung auszeichnet, da sie Aspekte beleuchtet, die mit anderen Zugängen nicht sichtbar wären. Das Buch ist eine nüchterne Warnung über die Welle xenophoben Nationalismus und zeigt auf, wie ein besseres Verständnis Wege eröffnen kann, dagegen vorzugehen.“
Sahana Udupa ist Professorin für Medienethnologie an der LMU und Principal Investigator des For Digital Dignity Research Network.
Nitzan Shoshan: The Management of Hate: Nation, Affect, and the Governance of Right-wing Extremism in Germany
Empfohlen von Professorin Sahana Udupa
„Die besten Bücher in meinem Regal sind jene, in denen am Ende nichts mehr so ist, wie es am Anfang erschien. In ihnen stürzen Überzeugungen und wackelige Gedankengebäude Kapitel um Kapitel in sich zusammen. Wenn das alles dann auch noch in eine abstrus-komische Erzählung verpackt ist, in der ein skurriles Abenteuer das nächste jagt, ist erfrischendes Lesevergnügen garantiert.
Mit feinem Sprachwitz zeigt Jonas Jonasson in Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand, wie sein Protagonist Allan Karlsson dem demografischen Faktor eine lange Nase dreht. An seinem dreistelligen Geburtstag hat er endgültig genug von braunen Filzpantoffeln und Stiefmütterchenbeeten. Soll das etwa ewig so weitergehen? Allan beschließt also, aus seinem Altersheim auszubüxen. Seine knacksenden Kniegelenke sind noch gut in Schuss und auch die misstrauische Schwester Alice, die bislang noch immer den Schnaps im Zimmer gefunden hat, kommt dieses Mal zu spät. Kaum hat Allan sein scheinbar altersgerechtes Leben hinter sich gelassen, trifft er auf seiner Flucht die unterschiedlichsten Typen, wird in immer mehr aberwitzige Geschichten verwickelt und es entspinnt sich eine Gute-Laune-Geschichte bis zur letzten Seite.“
Dirk Erfurth ist Leiter des Career Service der LMU.
Jonas Jonasson: Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand
Empfohlen von Dirk Erfurth
„Obwohl ich seit mehr als zehn Jahren in der Forensik tätig bin, habe ich nie das Interesse an Krimis verloren. Egal ob in Buchform oder als Film – ich denke, dass für viele Leserinnen und Leser die beste Sommerlektüre spannend sein muss. Und es gibt nichts Spannenderes als eine gute Kriminalgeschichte, oder?
Falsch gedacht! Es gibt Geschichten, die sind weitaus aufregender als jedes Buch von Stephen King. Nämlich Geschichten, die sich mit dem größten Rätsel überhaupt beschäftigen – dem Rätsel von uns, der Menschheit.
Das Buch Who we are and how we got here von David Reich nimmt Sie mit auf eine Reise zu unseren Ursprüngen und zeigt diese von der modernsten Seite – der der DNA-Studien. Reich, ein herausragender Wissenschaftler, arbeitet mit uralter DNA, um die Geschichte der Menschheit auf eine Art und Weise zu erklären, die Sie noch nie gehört haben, und wird Ihnen zeigen, wie unterschiedlich und doch überraschend ähnlich wir uns alle sind.
Dieses Buch ist eine Mischung aus Geschichte und Wissenschaft, und es gibt nichts Spannenderes, als zu sehen, wie sie zusammenkommen, um zu erklären, wer wir eigentlich sind.“
Dr. Marta Diepenbroek ist Forensikerin am Institut für Rechtsmedizin der LMU.
David Reich: Who we are and how we got here
Empfohlen von Dr. Marta Diepenbroek
„Für mich ist Alte Sorten von Ewald Arenz die perfekte Sommerlektüre! Mit süßem Birnenduft in der Nase taucht man ab in eine Geschichte voller Zärtlichkeit über zwei Frauen, die sich zufällig begegnen, langsam einander annähern und ins Herz schließen.
Die Teenagerin Sally hat genug von der Welt, ist verletzt, einsam und will einfach nur in Ruhe gelassen werden. Liss gibt ihr Raum. Auf Liss‘ altem Hof zwischen Hühnern, Bienen und selbst gebackenem Brot verstehen sich die beiden Frauen ohne viele Worte, sie arbeiten, essen und schlafen im Rhythmus der Natur. Im Laufe des Sommers legen beide ihre Wunden frei, helfen sich gegenseitig über ihren Schmerz hinweg und knüpfen eine Verbindung, die man zwischen den Zeilen spüren kann.
Zarte Zwischenmenschlichkeit, Weinberge in voller Blüte, saftige Früchte und ein Hauch von Landluft, dazu noch ein angenehmer Umfang von 228 Seiten, der in jede Strandtasche passt – was kann man mehr von einer Sommerlektüre wollen?"
Celine Edinger studiert den Masterstudiengang Soziologie.
Ewald Arenz: Alte Sorten
Empfohlen von Celine Edinger
„Dieser Sommer, in dem wir wieder mobil und mit anderen im direkten Austausch sind, ist die ideale Zeit, um The Extended Mind: The Power of Thinking Outside the Brain von Annie Murphy Paul zu lesen: Das Buch führt Forschungsergebnisse zusammen, die aufzeigen, wie sich Einschränkungen und virtuelle Verfahren auf unsere Kommunikation, Kreativität und Leistungsfähigkeit auswirken.
In der Wissenschaft sind die meisten von uns so sehr daran gewöhnt, mentale Aufgaben allein unserem Geist zuzuschreiben, dass wir den Ort des Denkens und Analysierens allein mit unseren Bildschirmen und einsamen Arbeitsstunden verbinden. Geistige akademische Arbeit scheint eine ideale Beschäftigung während einer Pandemie zu sein, aber Ergebnisse aus den Neuro- und Verhaltenswissenschaften zeigen, dass unsere Gedanken eben nicht wirklich in unseren Köpfen entstehen: Sie haben ihren Ursprung in Sinneseindrücken und anderen kontextuellen Informationen. Das bedeutet auch, dass es möglich ist, unsere Umgebung zu manipulieren, um anders und vielleicht wirkungsvoller ‚outside the box‘ zu denken. Ich habe einige der Übungen aus dem Buch selbst ausprobiert und entdeckt, wie gewinnbringend es ist, außerhalb meines Kopfs zu denken, wenn man mit verschiedenen Anordnungen experimentiert, die die eigenen motorischen Gewohnheiten ändern.
Als Archäologin, die untersucht, wie die Bedingungen physischer und sozialer Mobilität das Verhalten in der Vergangenheit beeinflusst haben, bin ich immer wieder begeistert von Ergebnissen der Neurowissenschaft und Psychologie und Erkenntnissen darüber, wie die physische Welt und unsere körperlichen Erfahrungen den Prozess des Lernens und Wissenstransfers beeinflussen.”
Dr. Annie Chan ist Akademische Rätin auf Zeit am Institut für Sinologie der LMU und derzeit Researcher in Residence am Center for Advanced Studies.
Annie Murphy Paul: The Extended Mind: The Power of Thinking Outside the Brain
Empfohlen von Dr. Annie Chan
„Als Mathematikerin und Informatikerin hat mich die dem Buch Hidden Figures: The Untold Story of the African American Women Who Helped Win the Space Race zugrundeliegende wahre Geschichte schon immer zutiefst bewegt. Und da der Terminus „Hidden Figures" heutzutage oftmals immer noch zutrifft, möchte ich diese absolut faszinierende Lektüre jedem wärmstens empfehlen.
Die Geschichte spielt im Umfeld der ersten Mondlandung der NASA, als noch keine Supercomputer wie heutzutage zur Verfügung standen, sondern Berechnungen wie die der Flugbahnen aufwendig per Hand durchgeführt werden mussten. Viele dieser „menschlichen Computer", wie sie damals genannt wurden, waren Frauen und oftmals afroamerikanischer Abstammung, unter anderem die brillante Mathematikerin Katherine Johnson. Es wird aufgezeigt, wie diese Frauen aus dem Hintergrund heraus („Hidden") nicht nur absolut essenziell für den Erfolg der ersten Mondlandung waren, sondern wie sie sich durch ihre Exzellenz schrittweise Anerkennung bei ihren männlichen Kollegen verschafften und dadurch auch zu einem Umdenken innerhalb der NASA in Bezug auf insbesondere afroamerikanische Wissenschaftlerinnen führten.
Und für diejenigen, die sich lieber Filme ansehen, sei erwähnt, dass aus einer zugegebenermaßen sehr kondensierten Version dieses Buches ein sehr erfolgreicher Film entstanden ist, der ebenfalls empfehlenswert ist.“
Prof. Dr. Gitta Kutyniok ist Inhaberin des Lehrstuhls für Mathematische Grundlagen der Künstlichen Intelligenz an der LMU.
Margot Lee Shetterly: Hidden Figures: The Untold Story of the African American Women Who Helped Win the Space Race
Empfohlen von Professorin Gitta Kutyniok
„Für ein Seminar habe ich den Roman Identitti von Mithu Sanyal gelesen, der mich sehr beeindruckt hat und den ich kaum aus der Hand legen konnte. Der Roman ist voll von literatur- und kulturtheoretischen Ansätzen, ohne dabei belehrend zu sein.
Ohne erhobenen Zeigefinger schreibt Mithu Sanyal (promoviert im Bereich der Postcolonial Studies) über die Problematik kultureller Aneignung und das Vortäuschen von Identität, wirft dabei die Frage nach Gesetztheit und Singularität von Identität auf und schickt Leser:innen gemeinsam mit der Protagonistin Nivedita auf die Suche nach Antworten.
Insbesondere das Miteinbeziehen von verschiedenen ‚Stimmen‘ – Sanyal zitiert Wissenschaftler:innen, lässt reale Personen Stellung beziehen, bringt Tweets sowie Blogbeiträge mit ein – macht den Roman zu einer runden Leseerfahrung.“
Lisa Stengel studiert im Master Deutsch als Fremdsprache und ist Mitbegründerin der Lesegemeinschaft Lesebuddies .
Mithu Sanyal: Identitti
Empfohlen von LMU-Studentin Lisa Stengel
„57 Prozent der Weltbevölkerung leben in Städten. Im Jahr 2050 werden es 70 Prozent sein. Wir sollten uns bewusst machen, dass es zu unserer gemeinsamen Geschichte gehört, in Städte zu ziehen und uns damit auseinanderzusetzen, wie sie funktionieren. Das Buch The Dawn of Everything. A New History of Humanity von David Wengrow und David Graeber bietet dafür die beste historische Perspektive, da es davon erzählt, wie die Erfindung der Landwirtschaft die Geschichte der Menschheit beeinflusst hat.
Das Buch nimmt uns mit auf eine Reise 12.000 Jahre zurück in die Vergangenheit, als die Menschen begannen, ihre Lebensweise zu ändern und, statt wie bisher in kleinen Gruppen von Jägern umherzuziehen, Jagdtieren zu folgen und Früchte zu sammeln, sich dauerhaft niederzulassen, zu ernten und Erntegut zu lagern. Im Laufe der folgenden zehntausend Jahre veränderte die Landwirtschaft die Menschheit – Menschen bauten Städte, entwickelten neue Formen von Religion und Kunst und lebten in immer größeren Gruppen zusammen. Aber Landwirtschaft bedeutete auch, was weniger offensichtlich ist, eine neue Art und Weise, gemeinsam Entscheidungen zu treffen: In vielen Fällen waren dafür soziale Hierarchien notwendig, Armeen, professionelle Regierende und Personen, die Verwaltungsaufgaben übernahmen. Natürlich sind die neuen Städte heute völlig anders, als es die ersten städtischen Siedlungen waren. Aber sie sind ebenso notwendig und möglich geworden durch neue Technologien: statt Landwirtschaft nun durch Künstliche Intelligenz und digitale Technologien.
Stellt die Entwicklung dieser neuen Technologien nicht nur einen Moment dar in einem weiteren historischen Umbruch, der vor 12.000 Jahren begann und uns dieses Mal nicht vom Nomadenleben zu Siedlungen führen wird, sondern aus der materiellen Welt zu immateriellen Formen zu leben und miteinander in Beziehung zu treten? Wollen wir diese Veränderungen und welche Art neuer Machtverteilung geht mit ihnen einher? Das ist die große Frage, über die ich nachdenken möchte und wobei mich das Buch von Wengrow und Graeber unterstützen soll.
Während des Sommers lese ich gerne dicke Bücher: Man hat Zeit, sich in ihnen zu verlieren, und es ist leichter, ein dickes als vier kleine Bücher einzupacken. (Um ehrlich zu sein, werde ich mir auch die Hörbuchversion von Werner Herzogs jüngster Novelle in meine Sommertasche packen. Amüsanterweise ist der Titel The Twilight World, was ein unterhaltsames Wortspiel mit The Dawn of History ergibt. Es handelt von einem japanischen Soldaten, der noch 29 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg eine kleine Insel in den Philippinen verteidigte … Aber das führt uns jetzt ganz woanders hin!)“
Prof. Dr. Ophelia Deroy ist Inhaberin des Lehrstuhls Philosophy of Mind an der LMU.
David Wengrow und David Graeber: The Dawn of Everything. A New History of Humanity
Empfohlen von Prof. Ophelia Deroy
„Nachdem mich die Anfrage für eine Leseempfehlung erreicht hat, hatte ich fünf Tage Zeit, ein Buch zu wählen, um dazu einen kurzen Beitrag zu schreiben. Die Tage flossen dahin, dicht gepackt mit Terminen und Verpflichtungen, ohne dass ich mich zwischen den drei Büchern, die ich zuletzt in der Hand hatte, entscheiden konnte.
Dann, am Abend vor Abgabe, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich aktuell nur ein Buch als Sommerlektüre weiterempfehlen möchte: David Allens Getting Things Done, ein Klassiker unter der Selbstmanagementliteratur. Ich lege das Buch all denjenigen ans Herz, die ihre Arbeitsprozesse stressfrei optimieren und sich mit neuen Ideen auf das kommende Wintersemester vorbereiten möchten.
Was für eine erfrischende Aussicht, sich gut sortiert und mit vollem Überblick über die Projekte, die einen in die Prokrastination treiben können, aus dem Sommerloch zu befreien. Ich selbst nutze die Techniken seit Jahren, um produktiver und nachhaltiger arbeiten zu können. Mit dem Audiobuch im Ohr werde ich in den nächsten Wochen etwas entspannter an die kommenden Projekte denken. Einen schönen und stressfreien Sommer wünsche ich allen!“
Diana Gabler ist Doktorandin im Projekt „Indigeneities in the 21st century“ am Institut für Ethnologie der LMU.
David Allen: Getting Things Done
Empfohlen von Diana Gabler
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