Was ist Hochbegabung
Das Konstrukt "Hochbegabung" liegt keineswegs in einem einheitlichen Verständnis vor, jedoch lassen sich bei aller Unterschiedlichkeit der Auffassungen, insbesondere unter dem Aspekt der konkreten Arbeit mit dem Phänomen, folgende Aspekte herausstellen.
Hochbegabung ist demnach
- ein individuelles Fähigkeitspotential für deutlich herausragende Leistungen in einem oder mehreren Bereichen,
- nicht direkt beobachtbar, sondern muss aus beoachtbaren Leistungen erschlossen werden,
- ein Merkmal einer Persönlichkeitsstruktur, welches nur im Kontext mit anderen Persönlichkeitsmerkmalen sinnvoll betrachtet werden kann. Diese Einbettung leisten Modelle oder Konzepte der Hochbegabung.
Das Hochbegabungskonzept von Renzulli erweist sich für die praktische Beratungsarbeit als recht hilfreich. Es definiert Hochbegabung als die Schnittmenge aus überdurchschnittlichen intellektuellen Fähigkeiten, überduchschnittlich ausgeprägter Kreativität und herausragender Aufgabenzuwendung und Motivation. In der Erweiterung durch Mönks verweist es ferner auf die Einflüsse sozial-ökologischer Faktoren wie Einfluss der Familie, der Schule und der Peergruppen, deren Einflüsse in hohem Maße die Ausprägung, Förderung oder Beeinträchtigung potentieller Fähigkeiten mitbestimmen.
Es gibt noch eine Reihe weiterer Hochbegabungskonzepte, etwa von Gagne, Heller und Mitarbeiter, deren zunehmende Komplexität und begriffliche Unschärfe sie als weniger geeignet für konkretes Beratungshandeln ausweist.
Von zentrale Bedeutung sind intellektuelle Begabungen. Wir erkennen sie an
- deutlich überdurchschnittlichen Leistungen in Intelligenztests
- überdurchschnittlich klarem logischen Denken
- raschem Erfassen abstrakter Gedanken und Vorstellungen
- korrekter Ableitung von Schlussfolgerungen aus bestimmten Vorgaben (Prämissen)
- korrektem Verstehen von Zusammenhängen
- selbständigem und korrektem Ableiten von Regeln aus Beobachtungen
- selbständigem Erkennen von Unterschieden, Gemeinsamkeiten, Regeln und Strukturen
- auffällig raschem und korrektem Lernen
- flexibler Verfügbarkeit eines großen, vielfältigen und komplexen Vokabulars
- sehr guter Merkfähigkeit.
Underachiever sind SchülerInnen, deren schulische Leistungen sich weit unter dem Niveau bewegen, als auf Grund ihrer kognitiven Fähigkeiten zu erwarten wäre. Schwache Schulische Leistungen können aber nur in den seltensten Fälle einer einzigen Ursache zugeschrieben werden. Wegen der engen Verbindung von Emotion und Lernen wird schulisches Versagen oft von Verhaltensschwierigkeiten begleitet.
Gründe für Underachievement können bereits in den ersten Lebensjahren entstanden sein. Ausschlaggebend sind nicht nur die elterliche Einstellung zum Kind, zur Leistung im allgemeinen und zu schulischem Erfolg im speziellen, sondern auch das elterliche Erziehungsniveau und die "kulturelle Situation" zu Hause. Die Persönlichkeit des Kindes, seine Beziehung zu den Geschwistern, deren Interaktion und Position in der Familie sind außerdem einflussreiche Faktoren, welche die Entwicklung der Leistung und die Einstellung zur Leistung mitbestimen.
Ebenso spielen emotionale Beziehungen innerhalb der gesamten Familie eine wichtige Rolle. Erfolgt eine glückliche Entwicklung im Elternhaus kann das Kind darauf aufbauen, indem es die Spannweite der emotionellen Beziehungen wie auch seinen intellektuellen Horizont ausweitet.
Im negativen Fall kann es jedoch dazu kommen, daß des Kindes Neugier und Freude am Lernen erstickt werden, und es aus Mangel persönlichen Bezugs keinerlei Anregung findet.
Zur Behandlung von Underachievement sollte dem Kind in jedem Sinne große Aufmerksamkeit geschenkt werden. Nicht nur die Defizite der Leistung, sondern auch eventuelle emotionale Mangelerscheinungen sollten ins Licht gerückt werden. Dem Einfluss von Emotionen, Zuwendung, Achtung und Ernst-genommen-werden auf das Lernen sollte sehr viel Aufmerksamkeit von seiten der Eltern und der Lehrern gewidmet werden.
Um sein persönliches Einschätzungsvermögen zu erlernen, muss das Kind sein Selbstkonzept ändern und eigene Motivation entwickeln. Dabei kann ihm geholfen werden. In der Schule muß das Lernmaterial in Beziehung gesetzt werden zum Selbstkonzept und dem Erwartungsniveau der Lerner.
Der nichterfolgreiche Schüler schätzt sich in der Regel entweder zu hoch oder zu niedrig ein. Wenn der Schüler dazu gebracht wird, sich wegen seines Versagens schuldig oder ängstlich zu fühlen, wird er versuchen dieses Gefühl der Angst zu vermeiden. Er flüchtet in eine Scheinwelt, anstatt sich mit den Gründen seines Versagens zu befassen.
Unabhängig von ihrem Fähigkeitsniveau benötigen Kinder innerhalb des Lernens die Erfahrung des Erfolgs genauso wie die des Versagens, ohne dabei von Schuld oder Angst überwältigt zu weden, denn nur wer seine eigene Leistung einschätzen kann, lernt mit Erfolg und Versagen zurechtzukommen.
(J. Opitsch)
Entgegen der naiven, weit verbreiteten, doch letztlich falschen Meinung, Hochbegabung sei etwas Eindeutiges, das der einzelne quasi per Geburt wie Herz, Lunge oder Gehirn mit sich herumtrage, hat die wissenschaftliche Beschäftigung mit Hochbegabung erbracht, dass es sich um ein vielfältiges Phänomen handelt, welches keineswegs immer eindeutig zugänglich ist.
Die Komplexität des Phänomens erfordert Offenheit für die Vielfältigkeit möglicher Indikatoren für Hochbegabung.
Leider findet sich auch in der Fachdiskussion immer die naive Vorstellung, Hochbegabung sei einfach da, man könne einfach so über sie diskutieren, ohne dass einsichtig gemacht wird, was Hochbegabung nun konkret sei bzw. wie sie genau zu erfassen ist. Aus wissenschaftlicher Sicht ist Hochbegabung ein weitgehend inhaltsleerer Begriff. Dies liegt darin begründet, dass Hochbegabung nicht dadurch definert ist, dass absolute Kriterien für Leistungsdispositionen verfügbar sind, sondern dass deutliche individuelle Abweichungen vom Altersdurchschnitt nach oben als Kriterien für das vermutete Vorliegen von Hochbgabung fungieren. Ob diese Abweichung dann ein, drei, fünf oder zehn Prozent der Vergleichsgruppe umfassen, ist eher Ausdruck gängiger methodischer Arbeitweisen oder Forschungsanliegen als Ausdruck der Verfügbarkeit eines eindeutig verbindlichen Bewertungsmaßstabes.
Es gibt nicht die Hochbegabung an sich, sondern immer nur ein aus einer bestimmten Interessenslage heraus definiertes Konzept von Hochbegabung, das bestimmte Merkmale hervorhebt andere hintanstellt. Man möchte individuelle Eigenschaften (Leistungsdispositionen) ermitteln und kann auf deren Vorhandensein nur über beobachtbare Leistungsabweichungen nach oben sowie über zum Ausdruck gebrachte Bedürfnisäußerungen schließen:
Das Vorliegen von Hochbegabung kann nur über Ausdrucksformen von Hochbegabung erschlossen werden.
Diese Überlegungen sind stets im Auge zu behalten, wenn man sich auf die Suche nach Merkmalen für sogenannte Hochbegabung macht. Die folgenden Indikatoren sind daher als heuristische Ansatzpunkte und nicht als ausschließende Kriterien zu begreifen. Sie umfassen Verhaltensweisen, Leistungen und Bedürfnisse in verschiedenen Bereichen, die alle mehr oder weniger implizit als Ausdruck von Hochbegabung gelten, wobei auf den genannten Abweichungsaspekt nach oben Bezug genommen wird.