Am 06. Mai luden das Mykola-Haievoi-Zentrum für Moderne Geschichte, die Deutsch-Ukrainische Historische Kommission und das Zentrum Liberale Moderne laden zur Podiumsdiskussion "Der 8. Mai 1945 und Russlands Krieg gegen die Ukraine – wie können wir heute an das Kriegsende erinnern?" ein.
80 Jahre nach jenem Krieg läuft eine „gefährliche Schlacht um die Erinnerung“. Historiker des MHZ sprachen auf dieser Veranstaltung zum Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs. Sie war eine von mehr als hundert, die im Mai 2025 in Berlin stattfanden.
Wie können wir heute des Zweiten Weltkriegs gedenken, während in Europa ein neuer Krieg stattfindet? Am Vorabend des 8. Mai zeigte eine Debatte in der Berliner Denkfabrik Zentrum Liberale Moderne, dass diese Frage offen ist. Professor Gelinada Grinchenko, Historikerin am Mykola-Haievoi-Zentrum beklagte, dass die Erinnerung in Russland wieder in der „sowjetischen Schleife“ gefangen sei. Es gebe eine „gefährliche Schlacht um die Erinnerung“, sagte sie. „Das europäische Modell des Nie Wieder ist mit der russischen Haltung des Wir können es wieder tun konfrontiert. Das russische Modell handelt eigentlich nicht von der Geschichte, sondern davon, wie die Zukunft geformt werden kann.“ Der Philosoph Anton Drobovych, in schwieriger Zeit (2019-2024) Direktor des Ukrainischen Instituts für Nationale Erinnerung, jetzt an der Kyiv School of Economics, diskutierte per Video aus Kyiv mit und unterstützte Grinchenkos Position.
Wieder einmal – wie im berühmten „Historikerstreit” der 1980er Jahre - kommt in Deutschland die Frage auf, ob man nationalsozialistische und sowjetische Herrschaft und die Verbrechen beider Regime vergleichen könne und solle. Die Diskutantin Marieluise Beck, Senior fellow bei LibMod, rief die Fragen in Erinnerung und dazu die erbitterten Debatten rund um die Wehrmachtsausstellungen im Zeitraum von 1995 bis 2004. Die Ausstellungen hatten gezeigt, dass nicht nur die SS, sondern auch „ganz normale Männer” aus Wehrmacht und deutscher Polizei an Massenverbrechen beteiligt waren. Darauf folgte der amerikanische Historiker Timothy Snyder mit seinem Buch “Bloodlands”, in dem er NS- und sowjetische Verbrechen in Mittel- und Osteuropa zusammen beschrieb. “Snyder hat die deutsche Erinnerung verändert“, bilanzierte Beck.
Grinchenko sowie MHZ-Forschungsgruppenleiter Kai Struve wiesen darauf hin, die Wurzeln von Putins seit 2022 geführtem Krieg lägen nicht im Zweiten Weltkrieg oder in der Ukraine, sondern in der Tatsache, dass Russland seine sowjetische Vergangenheit und deren Verbrechen nicht aufgearbeitet habe. Diskutant Oleksii Makeiev, der Botschafter der Ukraine in Berlin, verurteilte Russlands heutige Kriegsverbrechen an seinem Land scharf, warnte jedoch zugleich davor, „sie mit den Verbrechen des Zweiten Weltkriegs zu vergleichen“; das Publikum signalisierte ihm Zustimmung.
Makeiev wies auf ein weiteres Problem hin: „Wir Ukrainer haben keinen Ort in Berlin, an dem wir für unsere Opfer des Zweiten Weltkriegs Blumen niederlegen können.“ Iryna Shulikina, Chefin der in Berlin ansässigen ukrainischen NGO Vitsche, griff dies auf und stellte den Appell ihrer Organisation vor, in der Hauptstadt einen „ukrainischen Erinnerungsort“ (im Sinne eines lieu de mémoire, wie ihn der französische Historiker Pierre Nora definiert hat) zu schaffen. Ein solcher Ort würde sich den anderen Gedenkorten für NS-Opfer in Berlin anschließen, wie sie alle in der Nähe des Reichstagsgebäudes und des Brandenburger Tors zu finden sind: für die ermordeten Juden, für Sinti und Roma, für die Homosexuellen und kürzlich für die Opfer der NS-Herrschaft in Polen. Letzterer, eine in der deutschen Zivilgesellschaft aufgekommene Idee, hat sich zum breiteren Konzept eines „Deutsch-Polnisches Hauses“ entwickelt, ist jedoch immer noch weit entfernt von seiner Verwirklichung. Um diesen Stillstand zu überwinden, haben Anhänger der Idee rund um Professor Peter Oliver Loew, Direktor des Deutschen Polen Instituts in Darmstadt, einen 30 Tonnen schweren „Gedenkstein für Polen 1939 - 1945” in Berlin platziert. Der Findling wurde im April 2025 zwischen dem Reichstagsgebäude und dem Bundeskanzleramt aufgestellt. “Wir wissen, wie viel Zeit und Energie es gekostet hat, mit all diesen Gedenkinitiativen voranzukommen“, sagte Beck zu Shulikina und empfahl, das ukrainische Projekt beharrlich weiterzuverfolgen.
Bericht: Gerhard Gnauck